Kunstszene Ost: Malerin Christine Schlegel | Sächsische.de

2021-11-16 21:59:18 By : Ms. Alisa Chan

Welche Region interessiert Sie besonders?

In unserer neuen Reihe "Kunstszene Ost" erzählen ostdeutsche Künstler von den Umbrüchen in ihrem Leben: Teil 1: Die Malerin Christine Schlegel.

Im Langzeitinterviewprojekt „Kunstszene Ost“ berichten Maler, Grafiker und Galeristen, Zeichner und Kunstvermittler über ihre Wege, um in der DDR kreativ und frei arbeiten zu können. Christine Schlegel erinnert sich an ihr Kunststudium als junge Mutter in Dresden, an ihre Freiheiten und was sie AR Penck verdankt, der sechs Jahre zuvor die DDR verlassen musste.

Frau Schlegel, Sie haben 1989 in West-Berlin gelebt. Wie haben Sie die Maueröffnung erlebt?

Erfahrung, Wissen und ein tolles Team. Es war ein langer, lehrreicher Weg bis zum heutigen Erfolg, der sich mittlerweile in verschiedenen Abteilungen niederschlägt und die Träume seiner Kunden vom Einrichten und Wohnen verwirklicht.

Am Tag vor dem Mauerfall war ich noch in New York. Als ich in Berlin ankam, war ich sehr müde. Und ich hatte nichts zu essen im Kühlschrank. In der Nacht riefen mich viele Freunde aus Ost-Berlin an und sagten: Wir sind in West-Berlin mit Champagner, komm vorbei! Aber ich hatte immer noch mit meinem Jetlag zu kämpfen. Wir haben das große Ereignis nur mit einer wichtigen Freundin, Willfriede Maaß, und unseren Kindern gefeiert. Am nächsten Morgen ging ich über den Winterfeldplatz. Ein Ehepaar kam auf mich zu und die Frau sagte zu ihrem Mann: "Gugge ma, das ist definitiv drogensüchtig!" Ich geriet ein wenig in Panik und dachte: Oh je, jetzt sind die, vor denen ich geflohen bin, wieder da. Als ich ging, entkam ich nicht nur den Bonzen und Stasi-Mitarbeitern, sondern auch den ehrlichen Männern und Frauen.

Warum bist du in den Westen gegangen? Gab es einen Auslöser?

Mit Freunden, also Schauspielern, Schriftstellern und Musikern, habe ich die Gruppe SUM in Dresden gegründet. Wir haben absurdes Theater gemacht. Ich habe Filme gemacht, es war alles frei und wild und verrückt und ich hatte viel Spaß. Aber innerhalb eines halben Jahres verschwanden sie alle und waren verschwunden - im Westen. Ich war traurig, dass ich die Freunde verloren hatte, mit denen ich zusammen denken und fühlen konnte. Der Gedanke zu gehen war mir schon viel früher gekommen. Der Karneval, den wir nach der Biermann-Vertreibung 1976 an der Dresdner Kunstschule feierten, wurde als Konterrevolution gedeutet. Ich hatte das Gefühl, das geht gar nicht. Wenn ein bisschen Spaß und Kritik als Konterrevolution angesehen wird, dann ist die Gefahr groß, dass ich umsonst im Knast lande.

Was war an diesem Karneval konterrevolutionär?

Gar nichts. Ein ganz ähnlicher Karneval fand in Leipzig statt, niemand interessierte sich dafür. Aber der Dresdner Rektor Fritz Eisel hatte unsere Bilder kritisiert. Die Assistenten und die Kinder des Professors bekamen Eimer mit weißer Farbe und mussten unsere Bilder übermalen. Und dann rief er die Staatssicherheit wegen eines "Angriffs auf einen sozialistischen Führer" an. Wir hatten ihn ganz klein auf einem Thron gezeigt, mit Fußstützen. Nach seiner Kritik haben wir ihn weggemalt und stattdessen seine "slutty Portemonnaie", also seine Handgelenktasche, am Thron hängen und ein Schild: "Der Rektor ist in Indien", weil er immer in den Westen durfte. Die Veranstaltung eskalierte. Die Partei hat überreagiert und die Stasi wurde involviert. Das Kultusministerium sagte jedoch, wenn Konterrevolutionäre an dieser Schule studieren, dann stimmt etwas mit dem Lehrpersonal nicht. Wir waren wochenlang Rotlicht ausgesetzt, aber nicht geexted. Spätestens seither werde ich von der Stasi überwacht. Ein Nachbar hat über mich berichtet und mein damaliger Partner auch. Er war von der Stasi erpresst worden. Für mich war diese Zeit immer eine Mischung aus Angst und Anspannung. So wollte ich nicht leben.

Wie haben Sie die Ausreisegenehmigung erhalten?

Ich wusste, dass man nach der Heirat mit einem Ausländer nach den KSZE-Akten geregelt in den Westen einreisen und dann zu Besuch in die DDR zurückkehren konnte. Dadurch waren Sie weniger Repressionen ausgesetzt als bei einem Ausreiseantrag. Leo Lippold, einer meiner Freunde, lebte in Amsterdam. Dort fand er einen Künstler, der mich heiratete. So kam es zu dieser Heirat mit Fred van Otten in Ost-Berlin. Der Künstler Sascha Anderson organisierte die Hochzeitsfeier mit Westgeld und Essen aus dem Westen. Durch ihn war die Stasi von Anfang an dabei, es war absolut skurril. "Kiste", die auch für die Stasi arbeitete, wurde aus Dresden geholt und für das Ganze gekocht. Das Land zu verlassen war gar nicht so einfach. Im Amt bekam ich einen vorläufigen Reisepass und die Meldung: „Sie können damit die DDR verlassen, aber noch nicht nach Holland einreisen. Dafür benötigen Sie eine zusätzliche Genehmigung, dürfen aber die niederländische Botschaft nicht betreten. Wenn der Reisepass abgelaufen ist, können Sie das Land nicht mehr verlassen. "

Wie haben Sie das Problem gelöst?

Ich kannte schon lange einen westdeutschen Diplomaten in der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR. Er wiederum kannte den niederländischen Botschafter und traf ihn heimlich, als er mit seinem Hund spazieren ging. Also ein Gespräch mit Hundeflöhen, aber ohne Bettwanzen. Der Botschafter hat dafür gesorgt, dass ich und meine 15-jährige Tochter über Nacht in die Niederlande einreisen.

Wie war die Ankunft in Amsterdam?

Sehr schwierig. In Holland erhielt jeder Künstler monatlich 1.000 Gulden, unabhängig davon, ob er studiert hatte oder nicht. Aber van Otten hatte Angst vor der Verantwortung, die wir ihm auferlegten. Er wollte sich sofort scheiden lassen. Dafür musste ich nach Den Haag, um meinen DDR-Pass bestätigen zu lassen. Die BRD-Botschaft hat mir dann einen westdeutschen Pass ausgestellt. So galt ich in der DDR als Flüchtling und durfte nicht wieder einreisen. Trotzdem habe ich es mehrmals riskiert, indem ich meine Meldezettel gefälscht habe. Lange stand noch: „Verheiratet, wohnhaft in Holland“. Ich hatte mir Biermanns Textzeile zu eigen gemacht: „Wenn du dich nicht in Gefahr begibst, wirst du zugrunde gehen!“ Meine Tochter und ich zogen bald nach West-Berlin. Aber wir sind nie zusammen in den Osten gereist, um immer wieder rausgelassen oder im Notfall als Familie zusammengeführt zu werden.

Fühlten Sie sich in West-Berlin freier?

Jawohl! Es war so ein wunderbares Durcheinander in West-Berlin, wirklich anarchistisch. Das politische Geschehen war tolerant, demokratisch, vielleicht sogar offener als in der BRD. Schwule, Lesben, Ausländer mit allem Positiven und Negativen – das war eine Lebensform, die mich von vielen Krampfsachen befreite, die ich aus der DDR mit mir herumschleppte. Es war auch anstrengend. Wir wohnten in einem einst bewohnten Haus, in dem alles wackelte, wenn jemand eine Party feierte. Im Hof ​​ging man immer an einer türkischen und einer albanischen Gang vorbei. Du musstest sie dazu bringen, deine Fenster zu putzen und sie nicht kaputt zu machen.

Aber Sie waren auch in der DDR kein Kind der Traurigkeit ...

In der DDR lernte man: Wie lege ich mich mit Bigwigs an? Wie betrüge ich sie? Und wie lebe ich trotz allem so, dass sie mich nicht einsperren? Zum Beispiel so: Wenn ich eine Ausstellung veranstalte, die verboten werden könnte, dann lade ich einen Diplomaten zur Eröffnung ein. Als er mit einem CD-Führerschein in seinem Auto um die Ecke kam, verschwand die Polizei sofort. Als wir eine Ausstellung wie die von Joseph Beuys in der Ständigen Vertretung der BRD in Ost-Berlin sehen wollten, fuhren wir mit einem Diplomaten hinein.

Christine Schlegel wurde 1950 in Crossen geboren. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Dekorateurin, Plakat- und Schriftmalerin und studierte in den 1970er Jahren Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste Dresden.

1984 zog sie nach Berlin, experimentierte mit Collagen, Montagen, Übermalungen, Fotografien und drehte Filme. 1986 Emigration nach Amsterdam und West-Berlin.

Ab 2000 bereitete sie ihre Rückkehr nach Dresden vor. Ihre Werke befinden sich im Besitz so bedeutender Institutionen wie den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, den Staatlichen Museen zu Berlin und dem Lindenau Museum Altenburg.

Was wäre, wenn Sie keinen westdeutschen Diplomaten kennen würden?

Daneben gab es noch weitere Freiräume, wie gemeinsame Malaktionen und Silvesterfeiern. Wir Künstler haben auch in Dresden wunderschöne Kinderfeste veranstaltet, weil wir dachten: Kinder sind frisch und frei und anders. Dann kam die freie Theatergruppe Zinnober aus Berlin. Am Staffelstein haben wir einer riesigen Eiche, die vielleicht 30 Meter lang war, eine Schaukel hinzugefügt. Sie könnten über die Straße schwingen. Der Maler Peter Herrmann malte Moralbilder und spielte auf der Drehorgel. Wir haben den Kindern viel geboten. Aber es ging vor allem darum, die Freiheit zu feiern und sich nicht einschränken zu lassen und gemeinsam etwas zu unternehmen. Das habe ich in West-Berlin sehr vermisst. Es gab Konkurrenz für alles und zwischen allen.

Die Kinder boten Ihnen also einen willkommenen Anlass und zugleich das Alibi für ausgefallene Künstlerpartys?

Die Polizei konnte ein Kinderfest nicht verunglimpfen und als Aufruhr beenden. Es wurde natürlich mit Argwohn beobachtet und es wurde uns untersagt, an einem bestimmten Ort ein Kinderfest zu feiern, nachdem wir bereits eines in Cossebaude auf einer Wiese und zwei auf dem Staffelstein organisiert hatten. Also haben wir angefangen umzuziehen. Den Hohburgtunnel bei Moritzburg kannte ich sehr gut. Es war ein geheimer Ort, etwas sehr Spektakuläres für Kinder. Wir haben ihnen Kostüme genäht, damit sie Prinzessinnen und Ritter spielen können. Als wir auf dem Boxdorfer Berg zu wandern begannen, fuhren bald drei Stasi-Wartburgs hinter uns her, um uns zu beobachten. Nach dieser Kinderparty war die Luft raus.

War es schwer für Sie, Mutter und Künstlerin zu sein?

Als ich anfing zu studieren, war meine Tochter schon zweieinhalb. Ich habe keinen Platz in einer Kindertagesstätte bekommen. Der Grund: Hätte ich einen anständigen Job wie eine Wäscherin oder eine Krankenschwester gehabt, dann könnte ich einen Platz in einer Kita bekommen. Also nahm ich sie mit aufs College. Sie saß oft im Flur und malte. Unter dem Titel „Was du malst, malst du“ haben wir mit deinen Bildern eine Ausstellung gemacht. Das hat die Professoren sehr verärgert. Meine Tochter sollte ins Kinderheim gehen! Der einzige SED-Genosse in unserem Studienjahr hat mir durch die Party einen Kita-Platz verschafft. Aber auch meine Kommilitonen haben sich gerne aufgeregt, weil ich oft der Erste war, der das Studio verließ und nicht beim Putzen half. Ich hörte oft Sprüche wie: „Künstler wirst du nie. Künstler müssen herumhuren, trinken und rauchen. Mit Mann und Kind kann man kein Künstler werden! "

Wie sind Sie auf die internationale Kunst in der DDR aufmerksam geworden?

Christoph Tannert hatte mir über den Zentralvorstand der Künstlervereinigung in Berlin ein Giftzertifikat beschafft, da es als Legitimation für die Anfertigung einer Dissertation für die Staatsbibliothek benötigt wurde. Dadurch konnte ich alles sehen, was im Westen gedruckt wurde. Ein Bekannter von mir saß an der Ausleihtheke und holte mir aus dem Pool, was ich wollte: Von Picasso habe ich gelernt, dass man die Kunst aus seinem Innersten herausholen muss. Das haben uns auch die alten Künstler hier in Dresden vermittelt: Curt Querner, Theodor Rosenhauer, Hans Jüchser ...

Haben Sie auch etwas von AR Penck gelernt?

Ohne Penck weiß ich nicht, wo ich gelandet wäre. Ich kam aus einem protestantischen Elternhaus und aus der Enge der Kunstschule. Er war völlig frei, tat, was er wollte. Hat sich um nichts anderes gekümmert. Dieser Umstand befreite mich auch von den Zwängen, die in der Kunsthochschule vorherrschten: lebensgroßer Akt im Stehen, Liegen, Sitzen, in schwarz-weiß und farbig. Immer nur malen, malen, malen. Nein! Die Schöpfung ist das Wichtigste. Penck ist für mich in jeder Form ein großes Vorbild: Wenn man Lust hat, macht man Filme. Und wenn Sie übermalen, übermalen Sie. Und wenn Sie das Zeug zerreißen, zerreißen Sie es und kleben es wieder zusammen. Wir haben Silvester in Oberpoyritz gefeiert, wo ich mit Penck eine Collage gemacht habe. Zerrissen, wieder zusammengeklebt und noch übermalt. Das war ein Vergnügen, drei Stunden waren wie nichts vergangen. Am Ende ist etwas entstanden, das das widerspiegelte, was wir fühlten. Das waren entscheidende Momente für mich.

Machen wir einen Zeitsprung: 2011 haben Sie in Mannheim an einer Ausstellung mit dem Titel „Entdeckt! Aufständische Künstler in der DDR“. Wie haben Sie das empfunden?

Ich arbeite seit dreißig Jahren ohne DDR, und davor habe ich mich auch nicht dafür interessiert. Und ich werde immer als DDR-Künstler verkauft. Weil die Kuratoren für solche Themen Geld von der Politik bekommen, finden sie statt. Trotz allem ist es besser, als wenn wir nicht einmal bemerkt würden. Die Werke vieler Künstler aus der DDR-Zeit werden nicht gezeigt. Kunstwissenschaftler aus Amerika und England stellen immer wieder fest, dass vor allem Frauen in der DDR hochwertige zeitgenössische Kunst hervorgebracht haben! Warum wusste es keiner? Warum haben wir das nicht früher gesehen? Ich hoffe, dass wir in ganz Deutschland einen besseren Platz bekommen als Frauen von der Seitenlinie. Uns geht es sehr gut neben den Westfrauen und auch neben den Männern!

Hat sich das Verhältnis zwischen westlichen Museumsdirektoren und Galeristen nach dem Mauerfall im Vergleich zu östlichen Künstlern im Vergleich zu 1986, als Sie nach Amsterdam gingen, verändert?

Nach der Ausstellung „Malstrom“ 1986 im Haus am Waldsee in West-Berlin hieß es in einem Zeitungsartikel: „Die Künstler aus dem Osten, die Schleimes und Leibergs, machen hier alles.“ Danach war „Gegangensein“ kein Bonus mehr. Dieter Brusberg, der zu DDR-Zeiten Künstler wie Hermann Glöckner und Gerhard Altenbourg in seiner Galerie ausstellte, erklärte mir in den 1980er Jahren, dass er einen großen Vertrag mit dem DDR-Kunsthandel habe. Um diesen Vertrag nicht in Frage zu stellen, wollte er mit Künstlern, die das Land verlassen hatten, nichts zu tun haben. Ich bin in der Galerie Bodo Niemann gelandet, weil Niemann Clemens Gröszer unter Vertrag hatte, der ihn darauf aufmerksam machte, dass es sich lohnen könnte, mich auszustellen. Spätestens 1989 war die Begeisterung für Künstler, die die DDR im Westen verlassen hatten, endgültig vorbei. Einzige Ausnahme war AR Penck.

Warum sind Sie nach Dresden zurückgekommen?

In West-Berlin habe ich lange in einem ehemals bewohnten Haus mit geringer Miete gewohnt. Irgendwann ging der Eigentümer in Konkurs und die Bewohner beschlossen, ihre Wohnungen zu kaufen. Alle hatten das Geld, obwohl sie arbeitslos waren, außer mir. Ich konnte keine tausend Euro mehr Miete zahlen als zuvor. Als mir Geld zum Auszug angeboten wurde, ging ich nach Dresden in das Gartenhaus meiner Eltern, wo schon die Marder wohnten. Es stand zehn Jahre leer. Ich habe es repariert und erweitert. Das war nicht geplant. Ich hatte mich für das Berliner Studioprogramm beworben. Über 200 meiner Bilder lagern noch in Berlin, und ich weiß nicht, wie es weitergeht. Das zu klären ist mein ganz großer Wunsch.